Das tiefenpsychologisch orientierte Verfahren

„… bis die Neurowissenschaft entdeckte, dass Sigmund Freud mit der Psychoanalyse der modernen Hirnforschung ein paar wichtige grundlegende Erkenntnisse vorgegeben hatte …“. Es seien vier, sagt der in Bielefeld lehrende Psycho-Physiologe Hans Joachim Markowitsch:

„Erstens, dass mentale Zustände großteils unbewusst sind, zweitens, dass mentale Zustände eine neurale Basis haben, drittens: Kognition und Emotion lassen sich nicht trennen, und viertens: Die biologischen und die Humanwissenschaft müssen voneinander lernen.“

„Was also bleibt? Die Erkenntnis, dass sich frühe Erfahrungen ins Gedächtnis einschreiben, auch wenn sie später nicht bewusst sind. Oder allgemein: dass der Mensch zwar ein Produkt seiner Umgebung ist, aber vor allem einer, so Michael Buchholz, der die Geheimnisse seiner Existenz zu ergründen sucht.“

„In der Psychoanalyse geht es noch um etwas anderes, nämlich: dem Funktionieren des eigenen Geistes zuzuschauen. Und das setzt die Entwicklung eines höheren Beobachtungsstandpunktes dem eigenen Selbst gegenüber voraus, und wenn man jetzt noch mal dazu nähme, dass das Denken des Denkens eigentlich ein alter Name für die Philosophie ist, dann würden wir an dieser Stelle zurückkehren können zu dem Kreis, der sich dann schließt, dass die Psychoanalyse eine Gestalt sozusagen der Philosophie ist.“[2]

[2] [Prof. Dr. Hans Joachim Markowitsch, Psycho-Physiologe (Universität Bielefeld), in einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 23.09.2014 zum 75. Todestag von Sigmund Freud] [Prof. Dr. Michael Buchholz, Soziologe (Universität Göttingen)] Zusammengestellt von Martin Tschechne, Journalist und Publizist, DLF-Beitrag vom 21.10.2014 (Auszug)

Entwicklung und Entwicklungspsychologie

Beispiel 1: Körpergröße und Alter

Die Entwicklung eines Menschen lässt sich in eine Vielzahl von Entwicklungsabschnitten einteilen. Die jeweils gewählten Kriterien unterscheiden sich u. a. auch nach dem, was man dabei untersuchen möchte (= Untersuchungsgegenstand).

Das Alter und die Körpergröße geben natürlich einen sichtbaren Hinweis für die Entwicklung eines heranwachsenden Menschen. Interessant ist aber auch die Frage, welche weiteren Erkenntnisse sich aus der altersbezogenen Entwicklung feststellen lassen.

Beispiel 2: Lerntheorien

Die Wissenschaft kennt dazu unterschiedliche Ansätze, welche auch in Zusammenhang mit dem Alter gesehen werden können. Z. B. Lernen

  • durch ein Reiz-Reaktionsschema – auf einen bestimmten Reiz (Stimulus) folgt ein dadurch ausgelöstes Verhalten (Reaktion) = Konditionierung
  • am Modell – die Verhaltensweisen/Einstellungen anderer werden wahrgenommen und nachgeahmt (Beobachtungslernen)
  • durch Einsicht – Aneignung und Umstrukturierung von Wissen durch Nutzung der eigenen geistigen (kognitiven) Fähigkeiten

Nach dieser Auffassung werden z. B. Verhaltensweisen und Gefühle des Menschen erst erklärbar, wenn die dazu verantwortlichen Beweggründe (Motive) erkannt und verstanden werden. Freuds Schüler C. G. Jung (Analytische Psychologie) und Alfred Adler (Individualpsychologie) haben mit ihren Lehren unter dem Begriff der sog. „tiefenpsychologischen Schulen“ diese Erkenntnisse weiterführend beschrieben.

Tiefenpsychologie

Freuds Instanzenmodell der Psyche

Instanzenmodell Freud

Freud unterschied in seinem Strukturmodell der Psyche drei Ebenen (Instanzen), die sich auf die Veranlagung und Entwicklung des Menschen (das „Es“) wie auch den kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Einflüsse (das „Über-Ich“) beziehen und aus einer Wechselwirkung zur eigentlichen „Ich-Ebene“ finden. Dieses Modell beinhaltet damit aber auch eine zeitliche (entwicklungspsychologische) Komponente von der Geburt bis zum erwachsenen Menschen.

Nach dieser Auffassung werden z. B. Verhaltensweisen und Gefühle des Menschen erst erklärbar, wenn die dazu verantwortlichen Beweggründe (Motive) erkannt und verstanden werden. Freuds Schüler C. G. Jung (Analytische Psychologie) und Alfred Adler (Individualpsychologie) haben mit ihren Lehren unter dem Begriff der sog. „tiefenpsychologischen Schulen“ diese Erkenntnisse weiterführend beschrieben.

Freuds drei Ebenen (Instanzen):

Das Es: Zu Beginn der Entwicklung eines Menschen ist dessen Bewusstsein nicht entwickelt. Stattdessen laufen viele Funktionen unbewusst ab. Sie werden nach Freud in verschiedene elementare Faktoren (Triebe, Bedürfnisse, Affekte) eingeteilt: z. B.

Nahrungs-, Sexual-, Todestrieb; Angenommensein-Bedürfnis, Geltungsbedürfnis; Neid, Hass, Vertrauen, Liebe.

Das „Es” handelt vornehmlich nach dem sogenannten „Lustprinzip”, d. h. sein Streben zielt unbewusst auf die größtmögliche Erfüllung dieser elementaren Faktoren ab.

Das Ich: Mit den ersten Lebensmonaten und Jahren erfährt ein Mensch nach und nach, z. B. dass er sich von anderen unterscheidet, stellt sich zunehmend die Frage „Wer bin ich?”, „Was unterscheidet mich von anderen?”, „Was kann ich?”. Er entwickelt ein Bewusstsein über sich selbst (Selbstbewusstsein).

Das Über-Ich: Dieses Selbstbewusstsein ist darum auch von kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Einflüssen abhängig: z. B.

Normen, Moral, Werte, Gehorsam und das Gewissen, Schuldgefühle.

Reaktionen

Der Mensch lernt sich sozial gerecht zu verhalten und seine ursprünglich im Wesen angelegten Trieberregungen zu kontrollieren. Dies kann auch als Konflikt erlebt werden. Konflikte, z. B. aus widersprüchlichen Bedürfnissen, gehören zum normalen Alltag eines Menschen. Stehen dazu keine oder nicht ausreichende Lösungsstrategien zur Verfügung, können Belastungen oder Störungen auftreten. Elementare Lösungsstrategien werden bereits innerhalb der frühkindlichen Entwicklung herausgebildet.

Wurden bestimmte frühkindlichen Wünsche bzw. Bedürfnisse nicht ausreichend beachtet, wird dies möglicherweise durch die Ausbildung bestimmter Symptome erkennbar oder unbewusst verdrängt werden. Der Betroffene führt u. U. ein scheinbar normales Leben.

Anmerkung:

Als kleinen Beweis der Wirkung des menschlichen Unbewussten lässt sich gerne die sogenannte Freudsche Fehlleistung (Freudscher Versprecher) anführen: Obwohl durch den Verstand (‚ratio‘) kontrolliert, schleicht sich z. B. innerhalb einer Unterhaltung ein Begriff ein, welcher die unbewusste Sicht der Aussage verrät:

Beispiel: Bei der Schilderung unangebrachter Geschehnisse sagt jemand: „Was da alles zum Vorschwein kommt”

Beispiel: Ein Mitarbeiter hat seinem Empfinden nach ein schlechtes Verhältnis zu seinem vorgesetzten Abteilungsleiter. Er möchte deshalb in eine andere Abteilung wechseln. Als Begründung teilt er diesem mit, er wolle eine neue Herausforderung suchen. Fast beiläufig erwähnt er, dass es aber nichts mit ihm – seinem Vorgesetzten – zu tun habe.

Besonders das letzte Beispiel zeigt, wie das Unbewusste sich hier mit der wohl zutreffenden Einschätzung in einer versteckten Form einmischt.

Eine Folgerung

Da diese Ereignisse bzw. Entwicklungen teils unbewusst, teils bewusst ablaufen, sollte man sich bemühen, bewusst Erfahrenes zu erinnern bzw. Unbewusstes bei sich selbst offenzulegen. Soweit dies gelingt, kann man durch bestimmte Verfahren wie z. B. der Hypnose oder bestimmte Techniken der Selbsterfahrung auf diesen Prozess positiv einwirken.

Unbewusst verharrende und nicht aufgearbeitete Einflüsse können sich in bestimmten Fällen über symbolhaft versteckte Signale als körperliche Symptome oder Erkrankungen in Erinnerung bringen (psycho-somatische Erkrankungen). Erkenntnisse lassen sich auch aus der verschlüsselten Symbolsprache unserer Träume gewinnen.